03.09.2021, Bayerisches Landeskriminalamt

Unter mehrerlei Gesichtspunkten gilt der Fall Oetker als "Jahrhundert-Verbrechen". Die Persönlichkeit des Opfers, die Höhe des geforderten und bezahlten Lösegelds, die an den Tag gelegte verbrecherische Perfidie und die Ausdauer der Ermittler sind nur einige Gründe, die die Besonderheit jenes Verbrechens ausmachen, das dem BLKA am 5. April 1977 mit dem Ziel der Aufklärung zugewiesen wurde.

"Los vorwärts, das Ding macht nur klack." Eine mit einem Schalldämpfer ausgestatte Pistole wurde dem Studenten Richard Oetker am 14. Dezember 1976 nach dem Besuch einer Vorlesung an der Technischen Universität in Freising-Weihenstephan an den Rücken gedrückt. Ein schlanker Mann mit Bart und Hornbrille drängte das Opfer zu einem Kombifahrzeug, in dem sich eine Holzkiste befand, in die sich der Student setzen musste. Eine Fahrt ins Ungewisse begann.

Für die Freilassung Richards Oetkers wurden 21 Millionen Deutsche Mark Lösegeld gefordert. Nach einer Art „Schnitzeljagd“ kreuz und quer durch München fand die finale Geldübergabe im Stachus-Untergeschoss statt. Der Koffer musste vor einer Stahltür abgestellt werden. Die Krux war, dass sich diese Tür nur von der abgewandten Seite öffnen ließ. Die Pforte ging auf, eine Hand ergriff den Koffer und die Tür fiel wieder ins Schloss. Die Übergabe war aus Tätersicht erfolgreich.

Stunden später fand Richard Oetkers Ehefrau ihren Mann in einem lebensgefährlich verletzten Zustand auf, nachdem der Täter nun dessen Aufenthaltsort mitgeteilt hatte. In der stark beengten Liegeposition in der Holzkiste hatte der 25-Jährige einen Lungenkollaps erlitten, durch einen massiven Stromstoß beidseitig Oberschenkelhalsfrakturen, zwei gebrochene Brustwirbel sowie schwere Herzrhythmusstörungen.

Nach Übernahme der Ermittlungen und Bildung einer Sonderkommission durch das BLKA rückte im November 1978 die auf Band mitgeschnittene Täterstimme in den Mittelpunkt. In Fahndungsfilmen im Fernsehen zur besten Sendezeit auf allen drei Kanälen platziert und durch einen speziell geschalteten Telefonanschluss der Post hatte praktisch jedermann die Möglichkeit, die Stimme zu hören. Das Ergebnis war beeindruckend. Unabhängig voneinander gingen mehrere Hinweise auf einen Münchner ein, der unbemerkt überprüft wurde und am 30. Januar 1979 festgenommen werden konnte.

Es handelte sich um den 37-jährigen erwerbslosen Betriebswirt Dieter Z. aus München. Laut den Ermittlungen war er dringend verdächtig, im Zusammenhang mit dem Entführungsfall Oetker bei einer Münchner Gummifirma die Schaumstoffmatten gekauft zu haben, mit denen das spätere "Gefängnis" des Entführers ausgelegt wurde, das Tatfahrzeug, einen Opel Commodore, im Autokino Aschheim erworben zu haben und schließlich sieben 1000-DM-Scheine aus dem registrierten Lösegeld ausgegeben zu haben. Die Dieter Z. belastenden Indizien wurden immer erdrückender und mündeten in einen Prozess, der mit der Verurteilung des beharrlich leugnenden Entführers zu 15 Jahren Freiheitsstraße wegen des in Mittäterschaft begangenen Verbrechens endete.

Richard Oetker leidet noch immer an den Spätfolgen der Verletzungen.